„Die gemeinsamen Werte stärken“

Mann stehend

DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee spricht über die gemeinsamen europäischen Werte als Leitmotiv der Arbeit des DAAD – und die Verantwortung der Hochschulen, sich für sie einzusetzen.

Herr Professor Mukherjee, der DAAD hat Ende 2019 gemeinsam mit der Academic Cooperation Association (ACA) europäische Hochschulleitungen, Forschende und Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Hochschulorganisationen ins Kloster Eberbach nach Deutschland eingeladen, um über die aktuelle Bedeutung von Werten in der europäischen Hochschulbildung zu diskutieren. Weshalb war es wichtig, dieses Thema auf die Agenda zu setzen?

Vor über 20 Jahren wurde mit der Bologna-Erklärung der Europäische Hochschulraum gegründet, in dem die fundamentalen Werte der Union fest verankert sind und der so zu Stabilität in Europa beiträgt. Dass die Einheit Europas keine Selbstverständlichkeit ist, hat sich gerade in den nationalen Alleingängen einiger Mitgliedsstaaten während der COVID-19 Pandemie gezeigt. Doch auch vorher schon haben der Brexit, Grundrechtsbeschränkungen in einigen EU-Ländern und vermehrter Populismus an den europäischen Werten auf gesellschaftlicher und akademischer Ebene gerüttelt. Deshalb war und ist es besonders wichtig, die gemeinsamen Werte zu stärken und zu verteidigen – sowohl nach außen, aber auch innerhalb Europas. Hochschulen tragen eine Verantwortung dafür, diese Werte zu vermitteln und in den Institutionen Raum dafür zu bieten, diese auch kritisch zu diskutieren und zu reflektieren. Das ist nicht immer einfach, vor allem wenn politische Kräfte versuchen, Einfluss zu nehmen. Umso wichtiger ist das Bewusstsein um die bedeutende Errungenschaft, die unsere gemeinsamen Werte darstellen.

Durch den erstarkenden Populismus in vielen Ländern Europas und weltweit geraten die europäischen Werte in Bedrängnis

Zentrales Ergebnis des Treffens war der „Eberbach-Appell“ – in einer Passage heißt es, es sei notwendig „Alarm zu schlagen und sich für die Stärkung unsere Kernwerte einzusetzen“. Das sind drastische Worte – wie kommt es, dass Werte wie akademische Freiheit und Hochschulautonomie offenbar in den Hintergrund gerückt sind? Stehen pragmatische Fragen nach ECTS-Punkten und vergleichbaren Abschlüssen heute zu oft im Zentrum?

Der Erfolg des Modells Europa und insbesondere des Wissenschaftsstandortes Europa beruht auf einem gemeinsamen Wertefundament, das zentrale gesellschaftliche Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit akademischen Werten wie Wissenschaftsfreiheit, Hochschulautonomie und Transparenz verbindet. Dieses Modell ist weltweit beinahe einmalig und besitzt daher eine hohe Anziehungskraft für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Studierende und Lehrende. Dabei geht es um mehr als ECTS-Punkte und Akkreditierung, es geht um die grundlegenden Werte, die für freie Lehre, Studium und Forschung unverzichtbar sind. Durch den erstarkenden Populismus in vielen Ländern Europas und weltweit geraten diese Werte in Bedrängnis, weshalb es uns ein besonderes Anliegen war, darauf aufmerksam zu machen und dem aktiv entgegenzuwirken.

Der Eberbach-Appell richtet sich vor allem an die Bildungsministerinnen und -minister in Europa – welche Resonanz hatten Sie bisher darauf?

Ursprünglich sollte der Appell auf der Ministerkonferenz in Rom im Frühjahr dieses Jahres diskutiert werden. Aufgrund der Pandemie wurde der Termin nun in den Herbst verschoben. Da das Thema jedoch sehr wichtig ist, haben wir den Appell bereits im Vorfeld veröffentlicht. Der Termin zum 21-jährigen Bestehen des Europäischen Hochschulraums am 19. Juni ist dabei sehr passend.

Der DAAD steht für Werte, die auf Austausch, Verständigung und Toleranz beruhen

Kann die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dem Wertekanon im Europäischen Hochschulraum mehr Gewicht verschaffen?

Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass Wissenschaft und Bildung in der EU gestärkt werden. Dafür sollten diese Anliegen in allen Gesprächen mit Priorität behandelt und die Zusammenarbeit diesbezüglich auf europäischer Ebene weiter vertieft werden. Dazu gehört auch die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit und eine ausreichende Finanzierung und Förderung der Programme und Institutionen.

Wissenschaftsfreiheit ist kein Thema, das sich auf Europa beschränkt. Auch im wissenschaftlichen Austausch mit anderen Regionen spielt sie eine wichtige Rolle – wie setzt sich der DAAD weltweit für das Thema ein?

Der DAAD steht für Werte, die auf Austausch, Verständigung und Toleranz beruhen. Diese Werte vermitteln wir seit vielen Jahren erfolgreich gemeinsam mit unseren Mitgliedshochschulen. Ausruhen sollten wir uns darauf aber nicht: auch außerhalb von Deutschland und Europa müssen diese Werte vertreten werden. Wir sehen in den letzten Jahren weltweit aber eben auch innerhalb der Europäischen Union Entwicklungen, die der Unabhängigkeit der Hochschulen sowie dem partnerschaftlichen Streben nach Wahrheit, neuen Erkenntnissen und wissenschaftlicher Integrität klar entgegenstehen. Die gemeinsamen Werte in Europa sind Leitmotiv unserer Arbeit und die europäischen Hochschulen spielen bei deren Gestaltung eine zentrale Rolle. Über das weltweite Netzwerk des DAAD setzen wir uns auch bei unseren Partnern in anderen Ländern für die Vermittlung unserer Werte ein. Die Umsetzung ist in anderen Ländern nicht immer uneingeschränkt möglich, umso wichtiger ist es daher, dass Hochschulen weltweit versuchen, Räume zu schaffen, um solche Themen anzusprechen und zu diskutieren.

Interview: Janet Schayan