Reise in ein unvergleichbares Land

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Die Große Studienhalle des Volkes – auch: Großer Studienpalast des Volkes – ist die zentrale Bibliothek in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang

Nordkorea hat vermutlich das autoritärste politische System weltweit. In dem Land leben 24 Millionen Menschen fast vollständig isoliert vom Rest der Welt. Kann man mit diesem Staat eigentlich wissenschaftlich zusammenarbeiten? Mit dieser Frage beschäftigten sich die DAAD-Mitarbeiter Lars Gerold und Dr. Christian Hülshörster, die eine Woche lang Nordkorea besuchten.

Welcher Eindruck bleibt nach einem Besuch von Nordkorea hängen? „Es ist unvergleichbar“, sagt Dr. Christian Hülshörster, Bereichsleiter Stipendien Süd im DAAD. „Die Hauptstadt Pjöngjang ist auf den ersten Blick eine moderne Metropole mit vielen Hochhäusern und breiten Boulevards, auf denen nur wenige Autos fahren und nur wenige Menschen zu sehen sind.“ Das bestätigt auch sein Kollege Lars Gerold, DAAD-Referatsleiter Hochschulstrukturförderung in der Entwicklungsarbeit: „Ob im Flughafen, in den Geschäften oder in der Stadt – alles wirkt leer, aufgeräumt und gepflegt. Es ist aber eine erschütternd isolierte Gesellschaft. Die Menschen haben von der Welt außerhalb Nordkoreas ein sehr verzerrtes Bild.“ Eine Woche lang waren die beiden DAAD-Mitarbeiter im Land. Sie haben Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie DAAD-Alumni getroffen,  Universitäten und Institute besucht und Gespräche mit der Staatlichen Kommission für Wissenschaft und Technologie geführt. Die Reise hatten sie in enger Abstimmung mit dem  Auswärtigen Amt angetreten. Sie wollten prüfen, ob und wie eine akademische Zusammenarbeit mit Nordkorea unter bestimmten Bedingungen eventuell schrittweise wiederaufgenommen werden könnte. 2015 war diese wegen der Nukleartests unbefristet ausgesetzt worden. „Das Regime unter Kim Jong Un scheint zu realisieren, dass das Land nicht mehr von den eigenen Ressourcen leben kann und es sich der internationalen Staatengemeinschaft annähern muss“, sagt Hülshörster. „Dabei sollen Wissenschaft und Forschung eine wichtige Rolle spielen.“

Unbeheizte Räume und kein Internet 
Die erste Station der Reise war in Pjöngjang die Kim-Il-Sung-Universität, die Elite-Universität des Landes. Vor dem Hauptportal erwartete die zwei Deutschen eine riesige Monumentalstatue des „ewigen Präsidenten“ Kim Il Sung, die auf keinen Fall von hinten fotografiert werden durfte, vor der Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich aber täglich verneigen. Ein Aufzug im Hauptgebäude war gesperrt, weil Kim Il Sung diesen vor Jahren benutzt hatte. „Selbst Stühle oder Bücher, die der Führer angefasst hat, werden in Gedenkräumen ausgestellt“, sagt Hülshörster. Im Hauptgebäude der Elite-Universität besuchten die DAAD-Mitarbeiter die unbeheizten Räume der eLibrary, in der bei zehn Grad Raumtemperatur Studierende sowie Dozentinnen und Dozenten in Mänteln oder Winterjacken vor PC-Arbeitsplätzen saßen, die nicht mit dem Internet verbunden sind. Dafür können die Benutzer auf eine Vielzahl von elektronischen Publikationen zurückgreifen. In der Deutschabteilung konnten Gerold und Hülshörster mit den Studierenden des dritten Jahres sprechen. „Das Sprachniveau war sehr gut. Doch Landeskunde wird nicht vermittelt“, erzählt Hülshörster. „Die Studierenden können das aktuelle Deutschland gar nicht verstehen, weil sie zu deutschen Medien keinen Zugang haben“, ergänzt Gerold. Die Bibliothek der Deutschabteilung ist jedoch ordentlich sortiert – neben der deutschen Klassik steht im Handapparat auch moderne Literatur.

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Lars Gerold, ein Vertreter der deutschen Botschaft und Dr. Christian Hülshorster (von links) vor dem Denkmal zur nationalen Wiedervereinigung in Pjöngjang

Medizin für Parteikader, Videos für die Provinz
Es folgte der Besuch des Medical Colleges der Kim-Il-Sung-Universität. Hier sollen 4.000 Männer und Frauen studieren, doch vom Lehrbetrieb war kaum etwas zu sehen. Einzige Ausnahme: ein Unterrichtsraum, in dem Studierenden die Grundlagen der Chirurgie per Video vermittelt wurden. Anschließend besuchten die beiden Deutschen zwei Vorzeigekrankenhäuser für verdiente Parteikader. Diese waren mit modernen Computertomografen, viel Personal und sogar einem Mutter-Kind-Zimmer ausgestattet. Beide Kliniken sind Zentralkrankenhäuser für das gesamte Land – per Videoschaltungen können Patienten aus der Provinz die Ärzte konsultieren.

Forschung über Reis, Getreide und Ochsen
Auf der Fahrt durch die Vorstädte Pjöngjangs zu den agrarwissenschaftlichen Einrichtungen wurde Gerold und Hülshörster die dramatische Situation der Landwirtschaft deutlich: Nur 17 Prozent der Fläche Nordkoreas ist landwirtschaftlich nutzbar. Diese wird mit einfachsten Methoden bearbeitet – per Hand oder mithilfe von Ochsen, um den Boden zu pflügen, denn Traktoren und Diesel sind Mangelwaren. Dazu kommt, dass ein Großteil der vorhandenen finanziellen Mittel für die Forschung und den Bau von Nuklearwaffen oder ballistischen Raketen verwendet wird. Laut Welthungerhilfe sind fast elf Millionen Menschen in Nordkorea bedürftig oder unterernährt. Dementsprechend liegen die Schwerpunkte in den Agrarwissenschaften auf der Arbeit mit Nutzpflanzen (Reis, Getreide, Obst) und Nutztieren oder Methoden der Bodenbewirtschaftung. „Das Niveau der gezeigten Arbeiten hat das Potenzial für eine Zusammenarbeit. Die Nordkoreaner sind vor allem interessiert, neue Technologien kennenzulernen“, erzählt Gerold.

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Treffen mit nordkoreanischen DAAD-Alumni in Pjöngjang

Fortschritt durch Erneuerbare Energien
Eine große Bedeutung für die Gastgeber hatte der Besuch des Institute of Natural Energy (INE) in einem Außenbezirk der Hauptstadt. Der Übersetzer bezeichnete die „Wissenschaftsstadt“ als das „Silicon Valley von Nordkorea“. Das INE berät die Regierung in strategischen Fragen zu Erneuerbaren Energien, die das Land wegen der massiven Energieknappheit vorantreiben will. Deswegen soll die Nutzung von Wind- und Wasserkraft, Solarenergie und Biomasse ausgebaut werden. „Uns wurden Fotos des ersten vom INE hergestellten 250-kw-Windrads präsentiert“, erinnert sich Gerold. „Diese Bilder zeigten, dass Nordkorea noch am Anfang seiner Forschungen zu Erneuerbaren Energien steht. Daher besteht ein starkes Interesse an einer Kooperation mit Deutschland, das als führend im Bereich der Erneuerbaren Energien eingeschätzt wird.“

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Lars Gerold, ein Vertreter der deutschen Botschaft und Dr. Christian Hülshörster (von links) in der Deutschabteilung der Fremdsprachenuniversität

Kein normales Partnerland
Und was ist das Fazit der zwei DAAD-Mitarbeiter nach ihrem Besuch? „Nordkorea ist alles andere als ein normales Partnerland für die Hochschul- und Wissenschaftskooperation“, sagt Christian Hülshörster. „Viele denkbare Maßnahmen im DAAD-Portfolio scheitern an rechtlichen Hürden wie den bestehenden, diversen Sanktionsregimen oder sind weder politisch noch moralisch gewollt, weil ein Engagement beispielsweise in den Bereichen Medizin, Agrarwissenschaften oder Erneuerbare Energien systemstabilisierend wirken und Berührungspunkte zu militärischen Technologien entstehen könnten.“ Denkbar wären zunächst Begegnungen zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Bereich Germanistik. „Durch eine Politik der kleinen Schritte könnten wir die Kanäle zu den Menschen in Nordkorea öffnen, indem wir Alumnitreffen in Nordkorea unterstützen oder eine Delegation von Studierenden nach Deutschland einladen. Das wäre ein erster Lackmustest“, sagt Lars Gerold. Wäre es auch denkbar, deutsche Studierende, Lehrende oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für längere Zeit nach Nordkorea zu entsenden? „Dafür muss man sehr leidensfähig sein und eine hohe Frustrationstoleranz haben“, meint Hülshörster und erklärt die Gründe: „Man hat als Ausländer fast keinen Kontakt zur Bevölkerung, darf öffentliche Restaurants, Busse oder Bahnen nicht benutzen und lebt isoliert und kontrolliert im Hotel oder im Diplomatenviertel. Das muss man wissen, bevor man einen längeren Aufenthalt in dem unvergleichbaren Land plant.“    

Michael Siedenhans (18. Juli 2019)