Brasilien: Hochschulen unter Druck

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Die monumentale Christusstatue Christo Redender befindet sich im Süden von Rio de Janeiro auf dem Berg Corcovado und stammt aus dem Jahre 1931

Brasiliens ultrakonservativer Präsident Jair Bolsonaro macht international immer wieder Schlagzeilen: ob es um die von ihm lange Zeit zugelassenen illegalen Brandrodungen im Amazonasgebiet geht, deren Ausbreitung zu einem Flächenbrand nun massiv die „Lunge der Welt“ bedroht, um die Negierung des Klimawandels oder um die Diffamierung von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Identitäten, kurz LGBTI.

Weniger im Ausland bekannt ist, dass Bolsonaro auch massiv gegen die öffentlichen Universitäten wettert: Sie seien das Geld nicht wert, das man in sie hineinstecke, und sie bildeten schlecht aus. Mit den „Rattennestern“, den studentischen Freiräumen an den Hochschulen, werde er aufräumen, die Hochschulen von kommunistischem Gedankengut befreien und sie privatisieren.

In den ersten Monaten des Jahres sah es erst einmal nicht so aus, als würde die „Befreiung“ der 107 Bundesuniversitäten von linkem Gedankengut durch die Regierung prioritär verfolgt. Das änderte sich aber abrupt mit dem Wechsel des zuständigen Bildungsministers. Im April übernahm Abraham Weintraub das Amt und bereitete den Grabenkämpfen im Ministerium zwischen den pragmatischen, technokratischen Militärs und Olavisten (so genannt nach dem religiös-faschistoiden Einflüsterer Bolsonaros Olavo de Carvalho) ein Ende. Als Bolsonaro Ende April twitterte, dass man kein Geld mehr für „Philosophie und Soziologie“ an den Hochschulen ausgeben solle, ordnete der neue Minister umgehend weitreichende Kürzungen der Haushalte der Bundesuniversitäten an. Zunächst sollten nur drei, die aus seiner Sicht ihre Aufgaben besonders schlecht erfüllten und an denen nur Durcheinander („balbúrdia“) herrsche, fast ein Drittel ihres Haushalts verlieren: die Bundesuniversität Fluminense in Rio de Janeiro (UFF), die Universität Brasilia (UnB) und die Bundesuniversität Bahia (UFBa) − drei renommierte und hoch in Rankings stehende Universitäten. Zwei Tage später weitete der Minister die Kürzungen auf alle Bundesuniversitäten aus. Da aber hatte sein Vorgehen schon eine heftige Reaktion im Ausland und lange Protestnoten mit Unterschriftslisten von internationalen Fachverbänden zur Verteidigung der Gesellschafts- und Geisteswissenschaften ausgelöst. Nach großen landesweiten Straßenprotesten ruderte der Minister im Mai zurück: Gehälter und Pensionen, die einen Großteil der Haushalte der Universitäten ausmachen, bleiben von den Kürzungen unberührt.

Martine Schulze Neu

DAAD/Thomas Pankau

Martina Schulze, Leiterin der DAAD-Außenstelle in Rio de Janeiro und Direktorin des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) in São Paulo

Neues Programm sieht Zusammenarbeit mit der Wirtschaft vor
Aber nicht alles, was aus dem Bildungsministerium kommt, ist ausschließlich eine Bedrohung für die Hochschulen. Das im August angekündigte, aber wenig ausformulierte neue Programm „future-se“ der Regierung bietet auch Chancen: Es verschreibt den Universitäten eine stärkere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, um Innovationen voranzutreiben und marktgerechter auszubilden. Der Wirtschaft werden bei Zusammenarbeit mit den Universitäten Steuererleichterungen in Aussicht gestellt. Verbunden ist das Programm für die Universitäten allerdings mit der Ansage, dass die Regierung zukünftig nur eine Grundfinanzierung für die Bundesuniversitäten leisten wird.

Einschränkungen der Hochschulautonomie
Um die Hochschulen auf die Linie der Regierung zu bringen, greift Bolsonaro zusätzlich zu Mitteln, die direkt auf die Autonomie der Hochschulen zielen. Im Mai verabschiedete er ein Dekret, das es der Universitätsleitung untersagt, Vizerektoren und Dekane zu ernennen. Diese Aufgabe kommt jetzt dem Leiter des „Regierungsbüros“ zu, einem Minister, der auch schon die NGOs und die internationalen Organisationen im Land kontrollieren und steuern soll. Außerdem ernannte der Präsident drei neue Universitätsrektoren, die jeweils nicht als Erstplatzierte aus einer Wahl an ihrer Hochschule hervorgegangen waren, ihm aber politisch näherstehen.

Zahl der Studierwilligen sinkt
Wenig beachtet von der Öffentlichkeit verfolgt die Regierung Bolsonaro offensichtlich noch ein weiteres Ziel in Bezug auf die Universitäten. Ein Versprechen aus seinem Wahlkampf ist, dass ihr Besuch längerfristig wieder einer „intellektuellen Elite“ vorbehalten sein soll. Es ist bereits jetzt zu erkennen, dass diese Rechnung aufgehen kann: An der allgemeinen Hochschulzugangsprüfung ENEM nahmen 2019 rund 2,3 Millionen Schulabgänger weniger teil als 2016, als ein Höchststand mit 8,3 Millionen Studierwilligen erreicht wurde. Ein Grund für die geringe Teilnahme am ENEM dürfte sein, dass seit 2016 Jahr um Jahr die staatlichen Studienkredite für bedürftige Studierende gekürzt wurden. Schwarzen und anderen Sekundarschulabgängern aus ärmeren, bildungsfernen Schichten wird so von vornherein die Möglichkeit genommen, aus einem unterfinanzierten, schlechten öffentlichen Schulwesen in eine gute öffentliche Hochschule zu wechseln. Unter diesen Umständen unterziehen sich viele gar nicht erst der aufwendigen Prüfung.

Große Aufs und Abs gehören zu Brasilien, dem Land, das von 2011 bis 2016 durch das Mobilitätsprogramm „Science without Borders“ (SwB) fast 100.000 Brasilianerinnen und Brasilianer ins Ausland brachte und damit für wenige Jahre als Shooting Star auf dem internationalen Hochschulmarkt gehandelt wurde. Nach Deutschland kamen in dieser Zeit 6.500 Stipendiatinnen und Stipendiaten. 315 neue Abkommen zwischen deutschen und brasilianischen Hochschulen wurden geschlossen, kaum eines davon kam jedoch zur Umsetzung. Mittlerweile haben sich die meisten der damals neugewonnenen ausländischen Partner enttäuscht zurückgezogen. Eine Aussicht auf Besserung der Situation scheint derzeit nicht in Sicht. Bleibt zu hoffen, dass die alten, bereits mit Leben gefüllten Kooperationen, und davon gibt es etliche, trotz aller Widerstände fortbestehen. Wie sagt doch das Sprichwort: „Brasilien ist nichts für Anfänger.“

Martina Schulze

Eine Langfassung des Beitrags ist zuerst erschienen in „Forschung und Lehre“ (Ausgabe August 2019).
Update: 3. September 2019

Zur Person

Martina Schulze leitet seit 2014 die Außenstelle des DAAD in Rio de Janeiro. Sie ist gleichzeitig geschäftsführende Direktorin des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) in São Paulo.

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